Artikel gedruckt in der Oberbadischen am 13.5.15
Herr Ochs, es gab Zeiten, da war der Mann das Oberhaupt der Familie – ohne Diskussion. Heute möchten Männer diese überholte Zuordnung eher abschütteln. Männer möchten in der Regel eine gleichberechtigte Partnerschaft führen – sie sollen zudem beruflich erfolgreich sein, dabei ein netter Kollege bleiben ohne ein Weichei zu werden, ein aufmerksamer, liebevoller Vater sowieso und zudem ein gut aussehender Liebhaber: Das ist ‘ne ganze Menge.
(lacht): Es gibt tatsächlich unheimlich viele Anforderungen an moderne Männer. So viele, dass sie in Gänze nicht erfüllt werden können. Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass es heute kaum noch Vorbilder für ein „gelingendes Mann sein“ gibt, an denen sich Jungen und junge Männer orientieren können. Natürlich taugt auch das pauschale Bild des Mannes als quasi naturgegebenes Familienoberhaupt nicht wirklich. Deshalb sind nach meinem Eindruck ziemlich viele Männer auf der Suche, wie sie ihr „Mann sein“ leben können. Interessanterweise begeben sie sich oftmals erst in der zweiten Lebenshälfte bewusst auf diese Identitätssuche.
Weshalb so spät?
Meist ist die Karriereplanung weitgehend abgeschlossen, die Kinder sind aus dem Gröbsten raus. Irgendwann beginnen Männer darüber nachzudenken, was ihnen in ihrem Leben eigentlich wichtig ist. Was will ich? Was kann ich vom Leben erwarten? Wie soll meine Partnerschaft aussehen? Wie sieht es mit meiner Gesundheit aus? Solche Fragen treten plötzlich deutlicher in den Vordergrund.
Sie sprachen vom Mangel an Vorbildern. Was müsste ein Mann mitbringen, um eine Vorbildfunktion zu haben?
Wie sich Jungs entwickeln hängt stark davon ab, wie sie sozialisiert werden. Ganz einfach gesagt: Ein Mann sollte sich vornehmen, ein guter zugewandter Vater zu sein, der Zeit hat für seine Kinder – so gut es eben geht. Von zentraler Bedeutung ist, dass er authentisch ist, echt ist. Dass er zu seinen Stärken und zu seinen Schwächen steht. Der Papa ist das erste Vorbild fürs Mannsein und die Mama ist das erste Vorbild fürs Frausein.
Das macht die Situation für die vielen alleinerziehenden Mütter ziemlich schwierig.
Es muss nicht immer der biologische Vater sein, wenn dieser ausfällt in der Rolle des Erziehers. Eine Vorbildrolle kann auch der Großvater oder ein guter Freund einnehmen. Wichtig ist: Die Beziehung zu den ersten Männern im Kinderleben muss verlässlich sein. Diese Männer müssen da sein, präsent sein.
Wäre es übertrieben, zu behaupten, Männer und Jungen sind die Verlierer der Emanzipation? Schon in der Schule, ist oft zu lesen, richtet sich der Blick tendenziell eher auf die Mädchen.
So würde ich es nicht formulieren. Sagen wir so: Ich denke, wir brauchen eine stärkere Förderung von Jungs in der Schule. Ich habe über 20 Jahre als Lehrer an der Hauptschule unterrichtet. Dort habe ich im Religionsunterricht erfahren, wie wichtig für Jungs Männer als pädagogische Bezugspersonen sein können. Auch in der schulischen Begleitung durch Lehrer können Jungen Vorbilder erleben – Pädagogen, die den Schülern zugewandt sind, aber dabei nicht beliebig werden, sondern als Persönlichkeit klar und verlässlich bleiben.
Wie definieren Sie persönlich ihre Rolle als Vater?
Meine drei Kinder sind mittlerweile erwachsen. Ich wünsche mir, dass sie jetzt und auch später noch sagen können, dass ihr Vater zwar nicht für alles Verständnis hatte, aber dass er liebevoll war. Ein Vater, der ihnen Sicherheit gab, auf den sie sich verlassen können.
Sie nehmen seit über zehn Jahren an einer Männergruppe teil. Empfinden Männer den Gang in eine solche Gruppe als großen Schritt, als Zeichen der Schwäche?
So erlebe ich das nicht. Die Männer zeichnet vielmehr eine gewisse Offenheit aus. Sie sind, jeder auf seine Weise, auf der Suche und machen in Männer-Gruppen in der Regel sehr gute Erfahrungen. Es findet dort keine Stammtischgespräche statt, und es werden ebenso wenig Männerwitze gerissen. Es geht um ernsthafte Themen mit Männern, die sich nicht in Klischees bewegen wollen. Männer, die sich im Austausch mit anderen weiterentwickeln möchten. Auch dort entstehen verlässliche, solidarische Beziehungen zwischen Männern die mitunter ganz ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Vertrauen ist wichtig: Es werden über sehr persönliche und ab und an über intime Dinge gesprochen, die in der Gruppe bleiben und mit denen die Männer in dieser Weise auch noch nicht mit ihren Partnerinnen gesprochen haben.
Welche Themen werden denn angesprochen?
Themen, die den Alltag ganz normaler Männer prägen: Stress im Beruf etwa. Die Frage, wie ich mein Leben gestalten kann, damit es in Balance bleibt. Nicht nur in Bezug auf den Beruf, sondern auch auf die Partnerschaft, die Ehe, die Kinder und nicht zuletzt im Blick auf die eigenen Eltern, was diese an Päckchen und Pakete ins Männerleben mitgegeben haben. Auch Gesundheit und Sexualität spielen eine Rolle. Zumindest in der Männergruppe, der ich angehöre, wird auch über das Sterben und den Tod gesprochen, das sind mitunter sehr bewegenden Gespräche. Ohne die Bedeutung der Kommunikation mit Frauen schmälern zu wollen: Ich bin davon überzeugt, dass diese Gespräche genauso nur in reinen Männerunden stattfinden können.
Welche Rolle spielt der Glaube in dieser Gruppe?
Der verfasste kirchliche Glaube spielt keine zentrale Rolle. Aber die Frage, ob es etwas, jemanden gibt, der mein Leben trägt, mich hält, die ist von Bedeutung. Ich als gläubiger Christ kann sagen, dass ich in Jesus einen Mann erfahre, der mein Leben hält. Ich muss das niemandem überstülpen, aber wenn es sich ergibt, erzähle ich von meinen Erfahrungen. Die Gruppe ist aber ganz gemischt, darunter sind auch Männer die weder mit Kirche, noch mit Glaube etwas anfangen können. Andererseits kommen gerade bei den von der Kirche angebotenen Gesprächsmöglichkeiten für Männer natürlich keine super-kritischen Kirchengegner.
Wie sprechen Männer über ihre Partnerschaft?
Auch die Erwartungen an Partnerschaft sind heute riesig. Was soll sie nicht alles leisten! Kinder optimal erziehen, die Partner sollen sich immer gegenseitig glücklich machen, es muss beim Sex gut laufen etc. Das kann in dieser idealisierten Form nicht funktionieren.
Wie können Partner diese Überfrachtung auf Normalmaß runterfahren?
Aus meiner Erfahrung ist vieles ein Kommunikationsproblem zwischen Mann und Frau, das zeigen auch ganz allgemein meine seelsorgerischen Gespräche. Gelingende Kommunikation ist eine Voraussetzung für eine gelingende Beziehung.
Mit den neuen sozialen Medien befindet sich die Gesellschaft im Zustand der Dauerkommunikation. Offenbar lässt aber deren Qualität zu wünschen übrig.
Das sehe ich auch so. Es wird über alles palavert, aber ein wirklich ernsthafter, echter Austausch, sagen wir ruhig: von Herz zu Herz, ist keine Selbstverständlichkeit. Man muss sich das Miteinander gerade in Beziehungen immer wieder neu erarbeiten. Das kann ich auch aus meiner eigenen Partnerschaft sagen.
Wo sehen Sie die Chancen einer neuen Männerrolle?
Männer sind heute nicht mehr so festgelegt, sie haben mehr Möglichkeiten, ihr Leben als Mann zu leben, sie können auch mal Elternzeit nehmen, oder sogar Hausmann sein, ohne als völliger Exot zu gelten. Männer müssen sich nicht mehr so stark über den Beruf definieren, die Bedeutung der Vaterschaft hat dagegen zugenommen.
Haben die Unternehmen diesen gesellschaftlichen Wandel bereits aufgegriffen?
Es gibt Unternehmen, die das vorbildlich machen, die Elternzeit akzeptieren oder eine Teilzeitstelle des Mannes. Aber es gibt viele Betriebe, die entweder noch kein Konzept oder gar kein Interesse an diesem Thema haben. Diese könnten auf lang Sicht verlieren. Ich denke, dass diejenigen Unternehmen erfolgreich sein werden, die versuchen, Bedürfnisse von Familien ernsthaft in ihre Konzeption einfließen zu lassen.